Event

Der Fisch, der Vogel und der vaterländische Sondereinsatz: Das Absurde als transformatives Potential der Krise

  • Conférencier  Dr. Marina Laurent (Universität Luxemburg)

  • Lieu

    Campus Limpertsberg, Bâtiment des Sciences, BSC 0.03

    LU

  • Thème(s)
    Sciences humaines, Sciences sociales

Seminar im Rahmen der Vortragsreihe der Arbeitsgruppe „Humanities and Religion“

Am 4. März 2022 wurde in Russland ein Gesetz verabschiedet, das die „Diskreditierung des Einsatzes von Streitkräften der Russischen Föderation“ untersagt. Zuwiderhandlungen, wie etwa die öffentliche Verbreitung von Slogans wie „Nein zum Krieg“ und „Frieden für die Welt“ werden mit Freiheitsstrafen von bis zu fünfzehn Jahren geahndet. Mit dieser repressiven Maßnahme untermauert das putinistische Regime nicht nur seinen autoritären Anspruch auf absolute Linientreue gegenüber seinem imperialistischen „Militäreinsatz“ in der Ukraine. Paradoxerweise unterminiert es damit auch gleichzeitig die Sinnstrukturen, auf denen das nationale Selbstverständnis des regimetreuen Russlands bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs noch mehr oder weniger fest verankert war. Die antiwestliche Ideologie des (Post)Sowjetrussland verstand sich noch unlängst als gerechter Kampf gegen die US-amerikanischen und europäischen Unterdrücker, die unter dem Deckmantel liberaler Werte ihre eigenen Machtinteressen durchzusetzen trachten. Doch mit der Herabstufung des Kriegs gegen die Ukraine zum „bloßen“ militärischen Sondereinsatz untergräbt das Putin-Regime ungewollt das zentrale (post)sowjetische Ideal des großen vaterländischen Kriegs für den gerechten Frieden, d.h. für eine Weltordnung, in der Russland den ihm zustehenden Platz in den oberen Rängen einnimmt. Welche Konsequenzen können wir, die westliche liberale Gesellschaft, aus dem absurdistischen Schlussakt der (post)sowjetischen Ideologie ziehen? Vielleicht einen Funken Hoffnung auf die Mobilisierung der russischen Bevölkerung zu einem revolutionären Neuanfang. Viel wichtiger aber: ein Verständnis dafür, wie diese Ideologie samt all ihren Sinnwidrigkeiten mit unseren eigenen westlichen Weltvorstellungen verflochten ist.

Kontakt:

jean-marie.weber[@]uni.lu